Customer-Churn um 40% reduzieren – Wie kann das gelingen?

by
Kira Lenz
June 23, 2022

Churn-Analyse und der Churn-Prediction – Was ist das?

Abwanderungen oder Kündigungen von Kunden haben in Zeiten von Online-Vergleichen, permanent sichtbarer Werbung und vor allem über Cookies personalisierter Werbung massiv zugenommen. Sämtliche Aktivitäten, mit denen Unternehmen Chuurn reduzieren und verhindern können, sind unter dem Begriff Churn-Prevention-Maßnahmen zusammengefasst. Für Unternehmen sind diese Maßnahmen auch deshalb besonders wichtig, weil sie im Customer-Lifecycle vor der Kundenrückgewinnung zu verorten sind und sich damit besonders aus finanzieller Sicht lohnen.

Es gibt mehrere Hauptphasen im Customer-Lifecycle. Am Beispiel einer Versicherung sind das: Interesse, (Testphase), Onboarding (z.B. Online-Service wird vorgestellt und eingerichtet), Etablierung (Vertrag läuft), Erneuerung (Vertrag wird verlängert), Up- oder Cross-Selling (eine Zusatzversicherung wird verkauft), Kündigung, Kundenrückgewinnung (durch Rabatt werden Kunden überzeugt, wiederzukommen)

Die Gründe für Churn sind so vielfältig wie auch branchenspezifisch:

  • Fehlerhafte oder mangelhafte Services sowie Produkte
  • Kunden erhalten von Wettbewerbern bessere Angebote
  • Die Unternehmen strukturieren ihre Angebote um
  • Die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden ändern sich

Churn-Prevention ist besonders in B2C-Branchen mit langfristigen Kundenbeziehungen von Nöten. Dementsprechend finden die meisten Churn-Analysen und -Projekte dort statt – denn das Halten von Kunden ist überall dort relevant, wo es nicht um einmalige Services geht. Das ausgemachte Ziel ist es folglich, passende Maßnahmen zu ergreifen, um Kündigungen und Abwanderungen zu verhindern. Diese Churn-Maßnahmen werden wir im weiteren Verlauf des Artikels vorstellen.

Welche Mehrwerte bringt Churn-Prevention mit sich?

Das Halten eines Kunden spricht nicht nur für die Performance eines Unternehmens, sonders ist auch in der Regel günstiger als die Akquise. Besonders dann, wenn Sales und Marketing kostspielig sind und/oder Maßnahmen einen längeren Zeitraum benötigen, bis neue Kunden gewonnen wurden. Dies trifft vor allem dann zu, wenn Kunden sich (z.B. durch gewährte Rabatte, Wechselboni, Anschlüsse von technischen Produkten, aufwendige interne Verwaltung o.Ä.) erst spät für das Unternehmen rentieren. 

Darüber hinaus sind Bestandskunden teilweise sogar deutlich profitabler als Neukunden – um Churn-Maßnahmen korrekt zu priorisieren, sollte der Wert der Kunden für das Unternehmen in verschiedenen Phasen des Customer-Lifecycles getrennt bewertet werden. 

Um dies zu verdeutlichen, führen wir hier ein Beispiel an: 

Rechenbeispiel für Rentabilität von Churn-Prediction und Churn-Prevention

Nehmen wir als Grundlage ein Unternehmen mit 100 000 Kunden, das 2% der Kunden pro Monat verliert. Sales & Marketing können 1000 Neukunden pro Monat mit ihrem aktuellen Budget anwerben. Die Kundenakquisekosten betragen dabei insgesamt 1000€ pro Neukunde.

Die Kernfrage ist: Wie viel muss das Unternehmen investieren, um den Kundenverlust auszugleichen?

Für die Beantwortung der Frage betrachten wir erst einmal die Entwicklung des Kundenstamms unter Berücksichtigung der aktuellen Neukundengewinnung (mit und ohne Churn-Maßnahmen):

Entwicklung des Kundenstamms mit und ohne Anti-Churn-Maßnahmen

Wenn das Unternehmen nun die Verluste durch Churn im Vormonat durch mehr Akquise ausgleichen will, wie hoch wären dann Investitionen?

Notwendige Investitionen um die Kundenabwanderung auszugleichen

Bei der Betrachtung der beiden Tabellen wird deutlich, dass Anti-Churn-Maßnahmen zu einer deutlichen Verringerung der Investitionssumme beitragen. Das lohnt sich besonders bei Unternehmen, die langfristige, kostenintensive Produkte und Services anbieten.

Konkret entstehen für Ihr Unternehmen durch Anti-Churn-Maßnahmen die folgende Vorteile:

  • Kosteneinsparungen 
  • Entlastung der Sachbearbeiter
  • Zielgerichtete Verwendung von Firmenbudgets (bessere Zuordnung des Budgets möglich!)
  • Höhere Kundenzufriedenheit und gesteigerte Kundenloyalität 
  • Getroffene Maßnahmen werden mess- und vergleichbar
  • Ein gut durchgeführtes Churn-Projekt bietet am Ende eine 360°-Kundensicht und somit u.a. ein tiefes Verständnis über Kündigungsfaktoren
  • Die Ergebnisse des Churn-Projekts bieten eine Übertragbarkeit auf andere Bereiche, wie z.B. Marketing oder Kundenservice (welche Produkte sollten Servicemitarbeiter beispielsweise im Kundenkontakt empfehlen)

Um Aktivitäten gegen Churn ergreifen zu können, ist allerdings selbstverständlich auch ein gewisses Investment notwendig: 

  • Anti-Churn-Maßnahmen verursachen Kosten (im Rechenbeispiel oben vernachlässigt): Das können für Bestandskunden geschaffene finanzielle Anreize oder eine Optimierung des Angebots, welche Entwicklungskosten verursacht, sein
  • Für die Auswahl der Maßnahmen und deren Anwendungen müssen die wechselgefährdeten Kunden identifiziert und selektiert werden - schließlich sollen nur diese z.B. Rabatte erhalten. Das wiederum erfordert eine Lösung wie ein Machine-Learning-Modell, welches Kunden identifiziert und ein Scoring erstellt. 

So gehen Sie optimal bei Churn-Prediction-Projekten vor 

1) Prüfung der Datengrundlage und Erstellung eines Datenmodells

Für Churn-Predictions sind bei der Datengrundlage nicht nur Qualität und Quantität, sondern auch die Art der Daten entscheidend. Wichtig sind sämtliche Daten der Kundenhistorie und insbesondere Interaktionsdaten. Statische Daten z.B. Geburtsdaten oder der Wohnort, sind ebenfalls relevant, aber erfahrungsgemäß nicht die für die Kündigung selbst der entscheidende Faktor.

Bezüglich der Datenmenge muss vor Projektbeginn geprüft werden, dass diese ausreichend groß ist. Als Daumenregel gilt: Für Vorhersagen durch Machine-Learning-Modelle sind mindestens mehrere zehntausend Kundendatensätze notwendig; für reine Churn-Analysen ist wahrscheinlicher auch ein kleineres Datenvolumen ausreichend.

Die üblicherweise fragmentiert gespeicherten Datensätze müssen im ersten Schritt des Data-Science-Prozesses zu einem ganzheitlichen Datenmodell harmonisiert werden. Dabei werden sämtliche Stammdaten und Kundenhistorie zusammengebracht. 

2) Identifizierung von Churn-Faktoren

Dieser Schritt folgt auf die Entwicklung eines harmonisierten Datenmodell und zählt klassischerweise zum Bereich Data Analytics. Ein guter Ausgangspunkt ist ein Austausch zwischen Datenexperten und Businessexperten, um initiale Hypothesen zu Kündigungsgründen zu entwickeln. Eine solche Hypothese in der Versicherungsbranche könnte beispielsweise lauten: “Kunden kündigen, wenn der Beitrag um mehr als 3% erhöht wird.” 

Für verschiedenste Analysen können Data Scientists auf verschiedene Tools oder Analytics-Libraries setzen. Interessante Analysen könnten z.B. Kohorten-Analysen, Cluster-Analyse und Visualisierungen von Metriken/Statistiken und Gründen im Allgemeinen sein. Die Erkenntnisse werden üblicherweise mit den Businessteams diskutiert und evaluiert. 

Basierend auf diesen gewonnen Einsichten können bereits Maßnahmen geplant oder sogar bereits ergriffen werden. Hat sich zum Beispiel herausgestellt, dass Kündigungen häufig durch z.B. Probleme mit einer Benutzeroberfläche verursacht werden, kann das Problem direkt angegangen werden. In vielen Fällen sind allerdings nicht gravierende Mängel die Haupt-Churn-Ursache, sondern sehr individuelle Ereignisse. Für solche Unternehmen ist häufig die Verwendung von Machine-Learning-Modellen zur Identifikation churn-gefährdeter Kunden eine gute Lösung. 

3) Erstellen eines Prediction-Models

In den meisten Fällen stellt sich Frage einer manuellen vs. algorithmischen Identifikation wechselgefährdeter Kunden gar nicht. Der Aufwand wäre schlichtweg zu hoch. Die Verwendung eines Algorithmus bietet zusätzlich weitere Vorteile:

  • Effiziente, automatisierte Erkennung von wechselgefährdeten Kunden (wie gesagt)
  • Entlastung von Datenanalysten und Sachbearbeitern
  • Lernende Modelle werden besser mit jedem durchlaufenen Zyklus
  • Komplexe, nicht offensichtliche Zusammenhänge können von leistungsstarken, modernen Modellen detektiert werden
  • Machine-Learning-Modelle können neue Trends erkennen und einbeziehen

Solche Prediction-Modelle können je nach Datenbasis, Anforderungen des Unternehmens und Fragestellung auf unterschiedlichen Algorithmen basieren. Die Identifikation eines geeigneten Ansatzes ist eine der Hauptaufgaben von Data-Science-Teams.  Sowohl Regressions- als auch Klassifikationsmodelle können für die Churn-Prediction geeignet sein. In der Regel werden lineare Regressionsmodelle, welche häufig in der Survival-Analyse verwendet werden, oder nichtlineare Modelle wie Ensemble-Algorithmen (meist tree-basiert) eingesetzt.

Eine nahezu allgegenwärtige Herausforderung, unabhängig vom gewählten Modell, bei Churn-Vorhersagen, ist das Erreichen der benötigten Präzision. Das Modell betrachtet die Kunden, die gekündigt haben und vergleicht sie mit denen, die nicht gekündigt haben. Zumeist ist es quantitativ so, dass relativ viele Kunden bleiben und relativ wenige kündigen. Die Herausforderung ist ein Ungleichgewicht zwischen den Klassen “Kündigende” und “Nicht-Kündigende”. Um das oben angeführte Beispiel aufzugreifen: Wenn ein Modell für jeden Kunden behaupten würde, dieser wird nicht kündigen, läge es immer zu 98% richtig. Nützlich ist das Modell damit allerdings nicht. Besonders wenn die Datenbasis dünn ist und Kundeninformationen unvollständig erfasst werden, kann dieses "Klassenungleichgewicht" zu viel "Rauschen" und schlechten Vorhersagen führen.  

Um schlechten Vorhersagen und unwirksamen Maßnahmen vorzubeugen, sollte das Modell gut getestet werden. Beim Backtesting schaut man sich zum Beispiel an, für welche Kunden das Modell vor drei Monaten ein Churn-Ereignis vorhergesagt hätte und bei wie vielen von diesen es tatsächlich eingetreten ist. 

Unser Tipp: Wenn Sie mit externen Dienstleistern zusammenarbeiten, hinterfragen Sie - lassen Sie sich nicht mit Buzzwords und unkonkreten Metriken täuschen! ;) 

Konnte ein performantes Modell erstellt werden, gilt es nun, dieses zu deployen - also die Anwendung den Nutzern zur Verfügung zu stellen. Um das Deployment kümmern sich die Data Scientists und die IT. Für das passende Setting müssen eine Reihe von Faktoren berücksichtigt werden. Bei einer relativ kurzen Customer-Lifetime (also einer hohen Fluktuation im Kundenstamm) läuft das Modell eher häufiger, bei längeren Laufzeiten kann es sinnvoll sein,  eher Batch-Läufe vor geplanten Kampagnen durchzuführen. 

4) Maßnahmen gegen Churn ergreifen

Die Aktivitäten, die Unternehmen ergreifen können, sind zu individuell und in diesem Rahmen en detail erläutert werden zu können. Grundlegend kann zwischen akuten Maßnahmen und langfristigen Maßnahmen unterschieden werden.

Beispiele für akute Maßnahmen:

  • Kompensationen bei aufgetretenen Fehlern/Problemen/Mängeln
  • Dialog zu Kunden suchen
  • Anreize in Form von Gutscheinen, Rabatte, Produktempfehlungen (z.B. bei Energieversorgern der Vorschlag von umweltschonenden Tarifen an vielversprechende Zielgruppen)

Beispiele für längerfristige Maßnahmen:

  • Gestaltung von Barrieren (z.B. Mindestvertragslaufzeiten oder lock-in-Effekten)
  • Verbesserung des Services oder des Angebots (z.B. automatische Tarifempfehlungen)

Der Nutzen, beziehungsweise die Benefits von Maßnahmen können ebenfalls verschiedene Formen annehmen. Einige, wie die zu Beginn des Textes vorgestellte Beispielrechnung, sind  klar quantifizierbar, andere hingegen weniger. Ein Maßnahmenpaket kann selbstverständlich auch mehrere Benefits haben. 

Beispiele für leicht quantifizierbare Vorteile von Churn-Prevention sind:

  • Reduzierte Kosten
  • Mehreinnahmen bei konstantem Kundenzuwachs und reduzierter Abwanderung

Schwieriger quantifizierbare Vorteile könnten zum Beispiel sein:

  • Mehr Kapazitäten bei Sachbearbeitern (und bessere Arbeitsbedingungen wegen des reduzierten Stresses) 
  • bessere Kundenzufriedenheit,
  • die zu einer besseren Markenkonzeption und einer besseren Reputation führt

5) Bewertung und iterative Verbesserung des Churn-Prevention-Prozesses

Ein entscheidender Schritt für jedes Projekt ist der “nächste” - was geschieht also, wenn Daten analysiert, Kündigungen vorhergesagt und Maßnahmen ergriffen wurden? 

Es folgt die Phase der Verprobung und kritischen Evaluierung der durchgeführten Aktivitäten. Die Ergebnisse und Erfahrung sollten dann unbedingt auch an das Data-Team zurückgespielt werden, damit diese die Modelle, Analysen und Daten weiter verbessern können. Denkbar wäre zum Beispiel, dass das erste Modell gut für die Kundengruppe A funktioniert, nicht aber für Gruppe B. In solchen Fällen könnte die Separierung in zwei Machine-Learning-Modelle sinnvoll sein. Maßnahmen selbst können natürlich auch einfach nicht passend sein. 

All diese Erfahrungen und iterativen Verbesserungen können Teil einer Anti-Churn-Strategie werden. Diese kann verschiedene Aspekte umfassen, häufig anzutreffen sind:

  • Vision und Erfolgsziele → Auf wie viel Prozent soll die Churn-Rate gesenkt werden? Welche Churn-Ursachen sollen minimiert werden?
  • Verantwortungsbereiche → Wer treibt die Projekte voran und wer ist in den Fachbereichen der zuständige Ansprechpartner?
  • Vorgehensweise bei Experimenten und Pilotierungen → Was wurde aus vorherigen Verprobungen gelernt? Wie sollten Datenprojekte vorbereitet werden und wie wird die zusammenarbeit mit dem Kundenservice gestaltet?
  • Evaluierung von Maßnahmen oder Lösungen → Welche Anforderungen müssen erfüllt werden? Wann werden Maßnahmen durch andere ersetzt?
  • Anvisierte Dateninfrastruktur → Wie sollen unsere Mitarbeitenden mit den Churn-Predictions arbeiten können? Wie häufig benötigen sie Vorhersagen?

Zusammenfassung - Wie verhindern wir Customer-Churn?

Um Ihrem Unternehmen sowohl gesteigerte Einnahmen (Erhalt von Bestandskunden) als auch reduzierte Kosten (Neuakquise) zu sichern, sind Churn-Analysen und Churn-Predictions sehr wirksame Mittel. Der große Vorteil hierbei ist außerdem, dass während eines Projekts zusätzliche Einsichten generiert und wiederverwendbare Datenassets (wie z.B. harmonisierte Customer-Journey-Datensätze) gewonnen werden. 

Der Weg zu Churn-Prevention-Maßnahmen ist ein Data-Science-Projekt mit verschiedenen Schritten. Typischerweise werden die folgenden Kernschritte durchlaufen: Vorbereitung der Daten; Churn-Faktor-Analyse; Vorhersageerstellung; Maßnahmenergreifung sowie die iterative Verbesserung hin zu einer langfristigen Strategie. Jede Projektphase hat natürlich ihre eigenen Anforderungen und Besonderheiten - wir möchten Ihnen als Key-Take-Away mitgeben, dass eine enge Kollaboration zwischen Business- und Data-Teams der Schlüssel zum Erfolg ist.  

Wenn darüber hinaus wichtige Kriterien, wie zum Beispiel eine geeignete Datengrundlage, erfüllt werden, können für Ihr Unternehmen große Mehrwerte auf verschiedenen Ebenen (Finanzen, Reputation, Wachstum) erzielt werden.

Dieser Artikel ist auf Englisch auch auf Towardsdatascience erschienen
Sie sind interessiert an weiteren Informationen?
Lassen Sie uns über Ihre aktuellen Themen und Fragestellungen sprechen!
kontakt